Brüche und Vergessene/s im Tanz zwischen 1945 und 1980
Irene Sieben
Das zerbombte, dann mauergeteilte Berlin zeigt sich hier im Fadenkreuz zwischen Politik und künstlerischer Neuerung, zwischen Ost und West, Klassisch und Modern, im Konflikt zwischen dem aushauchenden Ausdruckstanz, frischer Ballettbegeisterung und den skeptisch verachteten Abstraktionsentwürfen eines Tanzes, der sich an den zeitgenössischen Künsten orientierten will.
Meine Recherche zum Thema Tanz in Berlin zwischen 1945 und 1980 basiert neben einschlägiger Literatur auf Erfahrungen als Schülerin Mary Wigmans und deren später abtrünnigen Assistentin Manja Chmièl (siehe Filminterview mit dem Literaturwissenschaftler Walter Höllerer), meiner Präsenz in ihrer Gruppe Neuer Tanz und in der ersten freien Tanzgruppe Motion. Wichtig auch, was ich jung beim Schauen erlebte: Gsovskys Ballette zu zeitgenössischer Musik, dem Abstraktionsvorbild Merce Cunningham mit John Cage, der seinen Flügel demontiert, beide als Gäste im Hebbel-Theater. Die Zeit für Erneuerungen im Tanz ist in Berlin noch längst nicht reif oder nur gespeist durch Gastspiele in der neuen Akademie der Künste.
1968, ein Schicksalsjahr: das Wigman-Studio schließt. Dore Hoyer nimmt sich das Leben. Chmièl, die Avantgardistin, die wohl zu früh kam, verlässt, trotz Kritikerpreis, Berlin. Group Motion fällt mit dem Multimedia-Stück Countdown für Orpheus durch. In den USA dafür hochgelobt, lässt sie sich in Philadelphia nieder, infiziert die US-Tanz-Universitäten mit dem Wigman/Chmièl-Virus, die abgespaltene Zero Moving Company wird als Gast gefeiert. Eine Gründerin der Tanzfabrik im Jahr 1978, Christine Vilardo, entstammt den US-Motion-Visionären. Auch die TanzTangente wird später von Wigman-Schülerinnen initiiert. Vogelfrei, subventionsfrei, frei von ästhetischen Zwängen entsteht so in Berlin eine Freie Tanzszene.